Verwaltungsgericht Augsburg, 15.05.2017, Az.: AU 5 K 17.31212
Der Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes erfolgt gemäß § 73c Abs. 2 AsylG, wenn die Voraussetzungen dafür nicht mehr gegeben sind. Bei einem solchen Widerruf oder der Rücknahme der Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung ist nach § 73c Abs. 3 AsylG auch zu prüfen, ob ein subsidiärer Schutz gemäß § 4 AsylG oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Dies bedeutet, dass untersucht werden muss, ob dem Ausländer im Heimatland ernsthafte Gefahren wie Todesstrafe, Folter oder eine Bedrohung durch willkürliche Gewalt drohen. Ein Widerruf ist jederzeit möglich, wenn sich die Gefahrenlage erheblich verändert hat. Die Jahresfrist nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen (§§ 48, 49 VwVfG) gilt hier nicht.
Das nachfolgende Urteil des VG Augsburg befasst sich nunmehr mit der Frage, ob ein Widerruf nach § 73c Abs. 2 AsylG auch bei vorangegangenem rechtskräftigen Urteil, bei Feststellung eines Abschiebungsverbots, erfolgen kann.
1. Einleitung und Hintergrund des Verfahrens
Der Kläger, ein 1990 in Afghanistan geborener Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitischen Glaubens. Er wandte sich im vorliegenden Verfahren gegen den Widerruf eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) sowie gegen die Feststellung, dass kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliege. Die Vorgeschichte des Falles reicht bis ins Jahr 2010 zurück, als das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Asylanträge des Klägers ablehnte und feststellte, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch für ein Abschiebungsverbot vorlagen.
Trotz dieser Entscheidung stellte das Verwaltungsgericht Augsburg in einem rechtskräftigen Urteil vom 9. Juni 2010 fest, dass für den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG bestehe, da ihm im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit drohen könnte. Diese Entscheidung beruhte auf der Annahme, dass der Kläger nicht in der Lage sei, sich in Afghanistan eine sichere Existenz aufzubauen. Das BAMF bestätigte diese Entscheidung in einem Bescheid vom 31. Januar 2011.
2. Widerruf des Abschiebungsverbots im Jahr 2017
Am 20. Februar 2017 widerrief das BAMF das zuvor gewährte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG und stellte fest, dass auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bestehe. Das BAMF begründete den Widerruf damit, dass sich die Lage des Klägers seit dem Urteil von 2010 erheblich verändert habe, insbesondere durch seine Volljährigkeit und die damit verbundene gesteigerte Fähigkeit, sich in Afghanistan eine Existenz aufzubauen.
Der Kläger, mittlerweile ein 27-jähriger gesunder und arbeitsfähiger Mann, sei nun in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten in Afghanistan das notwendige Existenzminimum zu sichern. Das BAMF argumentierte weiter, dass selbst dann, wenn der Kläger keine familiäre Unterstützung in Afghanistan erhalte, keine extreme Gefahr für ihn bestehe. Diese Einschätzung bezog sich auch auf die allgemeine Lage in Afghanistan, die sich laut BAMF nicht in einer Weise verschärft habe, dass sie für den Kläger eine erhebliche individuelle Gefahr darstellen würde.
3. Klage gegen den Widerruf des Abschiebungsverbots
Der Kläger legte gegen den Bescheid des BAMF Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg ein. In seiner Klage trug er vor, dass das rechtskräftige Urteil von 2010 der Widerrufsentscheidung entgegenstehe, sofern sich die Sach- und Rechtslage nicht entscheidungserheblich geändert habe. Der Kläger argumentierte, dass nach wie vor die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorlägen und er weiterhin auf den Schutz angewiesen sei, der ihm 2010 zugesprochen wurde.
Insbesondere berief sich der Kläger darauf, dass die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan sich nicht verbessert, sondern verschlechtert habe. Er machte geltend, dass die Sicherheitslage in Afghanistan für Rückkehrer, insbesondere für alleinstehende junge Männer ohne familiäre Unterstützung, äußerst prekär sei. Darüber hinaus betonte er, dass die humanitären Verhältnisse in Afghanistan katastrophal seien und bei einer Rückkehr eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten sei, was ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG rechtfertigen würde.
4. Entscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg
Das Verwaltungsgericht Augsburg wies die Klage als zulässig, aber unbegründet ab. Es stellte fest, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für den Widerruf nach § 73c Abs. 2 AsylG erfüllt seien. Das Gericht führte aus, dass ein Widerruf erfolgen könne, wenn die Voraussetzungen für das ursprünglich anerkannte Abschiebungsverbot nachträglich entfallen seien. Im vorliegenden Fall seien neue Tatsachen eingetreten, die eine veränderte Gefahrenlage begründeten.
Das Gericht betonte, dass sich die Situation des Klägers durch seine Volljährigkeit und Arbeitsfähigkeit grundlegend verändert habe. Es bestehe keine ernsthafte Gefahr, dass der Kläger in Afghanistan einer extremen Gefährdungslage ausgesetzt sei, die ein Abschiebungsverbot rechtfertigen würde. Auch die allgemeine Gefahrenlage in Afghanistan habe sich nicht zu einer individuellen, extremen Gefahr für den Kläger verdichtet. Insbesondere sei die Gefahr, unmittelbar nach der Rückkehr in eine lebensgefährliche Situation zu geraten, nicht gegeben.
5. Analyse der Gefährdungslage und Bewertung durch das Gericht
Das Gericht folgte der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach für alleinstehende, arbeitsfähige afghanische Männer, die aus Europa zurückkehren, keine extreme Gefahrenlage besteht, die zu einem Abschiebungsverbot führen würde. Es wurde ausgeführt, dass die allgemeine Gefahrensituation in Afghanistan nach Art, Ausmaß und Intensität nicht ausreiche, um ein individuelles Abschiebungsverbot zu begründen.
Das Gericht ging davon aus, dass junge, arbeitsfähige Männer in der Lage seien, sich in Kabul oder einer anderen größeren Stadt eine Existenz aufzubauen. In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, dass der Kläger sowohl in Afghanistan als auch in Deutschland als Autolackierer gearbeitet habe, was ihm eine gewisse berufliche Qualifikation und damit die Möglichkeit zur Existenzsicherung verschaffe. Der Umstand, dass der Kläger in Afghanistan keine familiäre Unterstützung habe, wurde als nicht entscheidend erachtet, da er auch ohne familiären Rückhalt in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt zu sichern.
6. Schlussfolgerungen und Urteil des Gerichts
Das Verwaltungsgericht Augsburg kam zu dem Schluss, dass die Klage des Klägers unbegründet sei. Es stellte fest, dass die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht mehr vorlägen und der Widerruf des Abschiebungsverbots rechtmäßig sei. Auch ein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 AsylG wurde verneint, da der Kläger nicht glaubhaft machen konnte, dass ihm in Afghanistan ein ernsthafter Schaden drohe.
Das Gericht führte abschließend aus, dass es für den Kläger eine inländische Fluchtalternative in Afghanistan gebe, die es ihm ermögliche, eine sichere Existenz aufzubauen. Diese Einschätzung beruhte auf einer Einzelfallprüfung, bei der die individuellen Umstände des Klägers, wie seine berufliche Qualifikation und seine Arbeitsfähigkeit, berücksichtigt wurden. Daher war die Klage zwar zulässig, aber unbegründet, und der Bescheid des BAMF wurde bestätigt.
Quelle: Verwaltungsgericht Augsburg
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