Arbeitsrecht: Kündigungsschutz trotz Insolvenz? Was Arbeitnehmer wissen sollten – Urteil des LAG Hamm (2 Sa 630/10)

Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm, Az.: 2 Sa 630/10, Entscheidung vom 22.12.2010

Ein Insolvenzverfahren stellt Arbeitnehmer regelmäßig vor große Unsicherheiten. Oft werden Betriebsänderungen angekündigt und Kündigungen ausgesprochen. Aber bedeutet Insolvenz automatisch, dass langjährige Mitarbeiter ohne Weiteres entlassen werden können? Ein wichtiges Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm (2 Sa 630/10 vom 22.12.2010) gibt Arbeitnehmern hier klare Antworten.

Was war passiert?

Der Kläger arbeitete seit über 37 Jahren in einem Unternehmen der Kaltwalzindustrie. Er war über 60 Jahre alt und aufgrund eines Manteltarifvertrags (MTV) eigentlich ordentlich unkündbar, weil er älter als 55 Jahre war und mehr als zehn Jahre im Betrieb arbeitete.

Nachdem das Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet und ein Insolvenzverfahren eröffnete, entschied der Insolvenzverwalter, zahlreiche Mitarbeiter zu entlassen. Der Kläger wurde trotz seines tariflichen Sonderkündigungsschutzes gekündigt, wogegen er sich vor Gericht wehrte.

Wie entschied das Gericht?

Das LAG Hamm stellte fest, dass die Kündigung des Klägers unwirksam war. Entscheidender Punkt: Obwohl nach Insolvenzeröffnung die ordentliche Kündigung eines tariflich unkündbaren Mitarbeiters theoretisch zulässig werden kann (§ 113 InsO), musste hier berücksichtigt werden, dass der Kläger bereits vor Insolvenzeröffnung aufgrund eines gültigen Tarifvertrags ordentlich unkündbar war.

Zudem betonte das Gericht, dass eine Kündigung trotz Insolvenz und trotz Betriebsänderung nicht automatisch gerechtfertigt ist. Entscheidend ist, ob es wirklich keinen anderen zumutbaren Arbeitsplatz gibt. Genau hier konnte der Arbeitgeber nicht ausreichend darlegen, dass eine Weiterbeschäftigung des erfahrenen Mitarbeiters ausgeschlossen war.

Praktische Bedeutung: Was bedeutet dieses Urteil für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?

Für Arbeitnehmer:

  • Insolvenz heißt nicht automatisch Kündigung. Ein bestehender tariflicher Sonderkündigungsschutz bleibt zunächst gültig.
  • Arbeitgeber müssen klar nachweisen, dass es keinen anderen geeigneten Arbeitsplatz gibt, bevor ein ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer entlassen werden darf.
  • Insbesondere ältere Arbeitnehmer mit langer Betriebszugehörigkeit genießen weiterhin einen hohen Kündigungsschutz, der auch in Insolvenzzeiten nicht ohne Weiteres ausgehebelt wird.

Für Arbeitgeber:

  • Kündigungen im Insolvenzfall sind nicht pauschal vereinfacht. Spezielle tarifvertragliche Kündigungsschutzregelungen sind sorgfältig zu beachten.
  • Die soziale Auswahl muss genau begründet und dokumentiert werden. Pauschale Behauptungen reichen nicht aus.
  • Bei Betriebsänderungen sollten Alternativen zur Kündigung intensiv geprüft und dokumentiert werden, um gerichtsfeste Entscheidungen treffen zu können.

Fazit und Handlungsempfehlungen

Dieses Urteil zeigt deutlich, dass tarifliche Kündigungsschutzregelungen nicht automatisch durch eine Insolvenz aufgehoben werden. Arbeitnehmer sollten im Falle einer Kündigung in Insolvenzverfahren ihren Sonderkündigungsschutz prüfen lassen und gegebenenfalls rechtliche Schritte erwägen. Arbeitgeber müssen ihre Entscheidungen sorgfältig und nachvollziehbar dokumentieren, um erfolgreiche Kündigungsschutzklagen zu vermeiden.

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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