Ausländerrecht: Abschiebungsanordnung gegen einen der radikal-islamistischen Szene zuzuordnenden Gefährder

Bundesverwaltungsgericht, 21.03.2017, Az.: 1 VR 1/17 (1 A 2/17)

Nach § 58a AufenthG kann die oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen. Jedoch muss hierbei eine Einzelfallentscheidung unter Abwägung der Interessen vorgenommen werden. Im Weiteren dürfen keine Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG vorliegen. Ein Abschiebungsverbot liegt unter anderem vor, wenn dem Ausländer ein ernsthafter Schaden, demnach die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. Im Weiteren soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Einleitung: Einstweiliger Rechtsschutz gegen Abschiebung nach § 58a AufenthG

Im vorliegenden Fall beantragte ein in Deutschland geborener algerischer Staatsangehöriger einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Abschiebungsverfügung nach § 58a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Die Abschiebungsverfügung basierte auf der Einschätzung der Sicherheitsbehörden, dass der Antragsteller eine terroristische Bedrohung darstellt. Er wurde im Zuge einer Großrazzia verhaftet und seine Abschiebung nach Algerien angeordnet. Der Antragsteller wandte sich gegen diese Verfügung und argumentierte, dass § 58a AufenthG verfassungswidrig sei und dass ihm im Falle einer Abschiebung konkrete Gefahren drohten.

Verfassungsmäßigkeit von § 58a AufenthG

Das Bundesverwaltungsgericht befasste sich zunächst mit der Frage, ob die Ermächtigungsgrundlage des § 58a AufenthG verfassungsmäßig ist. Es stellte fest, dass sowohl die formelle als auch die materielle Verfassungsmäßigkeit gegeben sind. Der Einwand des Antragstellers, dass § 58a AufenthG nicht im ursprünglichen Regierungsentwurf zum Zuwanderungsgesetz enthalten gewesen sei, sondern erst auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses aufgenommen wurde, hielt das Gericht für unbegründet. Der Vermittlungsausschuss habe sich im Rahmen seiner Zuständigkeit bewegt und der Vorschlag stehe in einem ausreichenden Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsverfahren.

Auch die Übertragung der Zuständigkeit für den Erlass der Abschiebungsanordnung auf die obersten Landesbehörden durch den Bundesgesetzgeber sei verfassungsgemäß, da diese Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten ausführen. In Bezug auf die materielle Verfassungsmäßigkeit betonte das Gericht, dass der Gesetzgeber die Regelungen im Interesse der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland getroffen habe, um besonders schwerwiegenden Gefahren effektiv zu begegnen. Die Einschränkung des Rechtsschutzes sei dabei durch Art. 19 Abs. 4 GG gedeckt, da verfassungsrechtliche Bindungen beachtet wurden.

Begriff und Anwendung von „Gefährdern“ nach § 58a AufenthG

Der Begriff der „Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ sei nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts enger zu verstehen als der der öffentlichen Sicherheit im allgemeinen Polizeirecht. Er umfasse die innere und äußere Sicherheit des Staates und seiner Einrichtungen. Der Antragsteller sei nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden der radikal-islamistischen Szene in Deutschland zuzurechnen und habe mehrfach Gewaltandrohungen geäußert. Auch wenn noch kein konkreter Plan zur Ausführung einer terroristischen Tat bekannt sei, liege ein erhebliches Risiko vor, dass der Antragsteller eine solche Tat begehen könnte.

Das Gericht stellte fest, dass der Begriff der „terroristischen Gefahr“ zwar nicht eindeutig definiert sei, jedoch auf den internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus basiere. In Anwendung dieser Prinzipien sei ein Einschreiten nach § 58a AufenthG gerechtfertigt, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr bestünde, dass der Antragsteller eine schwerwiegende Straftat plant. Die Prognose der Gefährlichkeit müsse sich auf zuverlässige Tatsachen stützen, was im vorliegenden Fall durch die gewonnenen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden der Fall sei.

Beurteilung der besonderen Gefahrenlage

Das Gericht bewertete die vom Antragsteller ausgehende Gefahr als signifikant. Die Sicherheitsbehörden stellten fest, dass der Antragsteller Kontakte zu gewaltbereiten islamistischen Gruppen unterhält und mehrfach Gewalttaten angekündigt habe. Diese Einschätzung basiere auf einer fundierten Tatsachengrundlage, einschließlich Überwachungsmaterial und weiteren Erkenntnissen. Das Gericht hob hervor, dass ein beachtliches Risiko bestehe, dass der Antragsteller eine terroristische Gewalttat begehen könnte. Angesichts dieser Bedrohungslage sei die erlassene Abschiebungsverfügung rechtmäßig und notwendig, um die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten.

Vereinbarkeit mit Europarecht und Abschiebeverbote

Das Bundesverwaltungsgericht prüfte ferner, ob die Abschiebungsverfügung mit der EU-Rückführungsrichtlinie von 2008 vereinbar sei. Es kam zu dem Schluss, dass der Antragsteller wegen der von ihm ausgehenden Gefahr keine Frist zur freiwilligen Ausreise erhalten müsse. Darüber hinaus wurde der Antragsteller auch darauf hingewiesen, dass die Entscheidung des Antragsgegners ermessensfehlerfrei war, da das öffentliche Interesse an der Abschiebung sein privates Interesse überwiegt.

Das Gericht ging auch auf das Vorbringen des Antragstellers ein, dass ihm bei einer Abschiebung nach Algerien Folter oder die Todesstrafe drohe. Hierzu wurde festgestellt, dass die Todesstrafe in Algerien seit 1993 nicht mehr vollstreckt wurde und dass für den Antragsteller kein konkretes Risiko bestehe, einer solchen Strafe unterzogen zu werden. Bezüglich der Gefahr von Folter in Algerien verwies das Gericht darauf, dass diplomatische Zusicherungen eingeholt werden könnten, um eine solche Gefahr auszuschließen.

Ergebnis: Ablehnung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz

Zusammenfassend entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz unbegründet sei. Die Abschiebungsverfügung nach § 58a AufenthG sei verfassungsgemäß und die vom Antragsteller angeführten Gründe seien nicht ausreichend, um die aufschiebende Wirkung zu rechtfertigen. Da der Antragsteller als erhebliche terroristische Gefahr eingestuft wurde, überwiegt das öffentliche Interesse an seiner Abschiebung. Diplomatische Zusicherungen, um eine mögliche Folter zu verhindern, wurden als ausreichend angesehen, um die Abschiebung nach Algerien durchzuführen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht

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