Gesetzliche Grundlagen und Bedeutung des Einreise- und Aufenthaltsverbots
Nach § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) darf ein Ausländer, der aus Deutschland ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wurde, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich hier aufhalten. Ebenfalls darf ihm – selbst wenn er eigentlich einen gesetzlichen Anspruch hätte – kein neuer Aufenthaltstitel erteilt werden. Man spricht hierbei von einem Einreise- und Aufenthaltsverbot. Dieses Verbot soll verhindern, dass Personen, deren Aufenthalt beendet wurde, unmittelbar wieder zurückkehren oder einen neuen Aufenthaltstitel erhalten. Es wirkt über die Grenze hinaus, indem es auch die Erteilung von Visa durch Botschaften unterbindet, solange das Verbot gilt.
Wichtig zu wissen ist, dass ein solches Verbot immer befristet werden muss. Die Länge der Frist wird im Bescheid angegeben und beginnt in der Regel mit dem Tag der Ausreise. Gesetzlich sind Höchstfristen vorgegeben: In Standardfällen beträgt die Sperre meist höchstens fünf Jahre. Bei schweren Straftaten oder besonderen Gefahren für die öffentliche Sicherheit kann sie bis zu zehn Jahre dauern. Nur in extremen Ausnahmefällen – etwa bei akuter Gefahr für die innere Sicherheit (z. B. Terrorismusverdacht) – kann ein Verbot unbefristet ausgesprochen werden. Grundsätzlich soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot aber keine lebenslange Verbannung sein, sondern dem Zweck dienen, die gesetzliche Ausreisepflicht durchzusetzen und den Betroffenen zur freiwilligen Ausreise zu bewegen.
Einreiseverbote nach abgelehntem Asylantrag – Ermessensspielraum des BAMF
In bestimmten Konstellationen kann bereits während eines Asylverfahrens ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden. § 11 Abs. 7 Satz 1 AufenthG räumt dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Befugnis ein, gegen einen Ausländer ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anzuordnen, wenn sein Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt wurde. Weitere Voraussetzungen sind, dass kein subsidiärer Schutz gewährt wurde, keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG festgestellt wurden, und dass kein Aufenthaltsstatus (etwa durch ein anderes Verfahren) vorliegt. Kurz: Diese Regelung zielt insbesondere auf Asylbewerber aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten oder auf Fälle von offensichtlichem Missbrauch des Asylsystems. Hier soll das BAMF – zusätzlich zur Ablehnung des Asylantrags – die Möglichkeit haben, eine Rückkehr- und Wiedereinreisesperre auszusprechen.
Wichtig ist: Das BAMF hat hierbei Ermessen. Das bedeutet, es ist nicht verpflichtet, in jedem solchen Fall ein Einreiseverbot zu verhängen, sondern es kann je nach den Umständen des Einzelfalles entscheiden. Dieser Ermessensspielraum ist gesetzlich eingeräumt, um den Behörden die Möglichkeit zu geben, individuell angemessen zu reagieren. Beispielsweise kann das BAMF berücksichtigen, ob der Betroffene besondere Gründe oder Umstände vorbringt, die gegen eine lange Sperre sprechen – oder ob umgekehrt Gründe vorliegen, die ein strenges Vorgehen erfordern.
Hinweis für die Praxis: Wird ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt (häufig bei Asylsuchenden aus sicheren Herkunftsländern der Fall), so erlässt das BAMF oftmals gleichzeitig die Abschiebungsandrohung mit kurzer Ausreisefrist und ordnet ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot an. Die Frist dieses Verbots beginnt ab der Ausreise des Betroffenen zu laufen. Häufig differenziert das BAMF dabei: Reist die Person innerhalb der gesetzten Frist freiwillig aus, wird eine kürzere Frist festgelegt (z. B. 6 oder 12 Monate). Muss sie zwangsweise abgeschoben werden, setzt die Behörde meist eine deutlich längere Frist (oft 30 oder 36 Monate). Damit soll ein Anreiz zur freiwilligen Ausreise geschaffen werden.
Gerichtliche Kontrolle: Widerspruch und Klage gegen Einreisesperren
Gegen die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots können Betroffene rechtlich vorgehen – zunächst mit Widerspruch (sofern im Bundesland vorgesehen) und anschließend mit Klage vor dem Verwaltungsgericht. Im Gerichtsverfahren wird die Rechtmäßigkeit der Sperre überprüft. Dabei ist jedoch wichtig zu verstehen, dass das Gericht die Ermessensentscheidung der Behörde nur eingeschränkt prüfen darf. Die Verwaltungsrichter ersetzen nicht das Ermessen der Behörde durch ihr eigenes („Gericht hat kein eigenes Ermessen“); sie kontrollieren lediglich, ob die Behörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.
Die juristische Fachsprache kennt hier verschiedene Ermessensfehler:
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Ermessensnichtgebrauch: Die Behörde hat überhaupt nicht erkannt, dass sie einen Ermessensspielraum hatte, und hat keine individuelle Abwägung vorgenommen.
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Ermessensfehlgebrauch: Die Behörde hat zwar abgewogen, dabei aber sachfremde oder unzulässige Erwägungen angestellt (z. B. willkürliche Gründe berücksichtigt oder Wesentliches außer Acht gelassen).
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Ermessensüberschreitung: Die Behörde hat die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten, etwa eine unzulässig lange Frist gesetzt, die über das erlaubte Maß hinausgeht.
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Ermessensreduzierung auf Null: Das ist ein Sonderfall, wenn nach Gesetz und Umständen eigentlich nur eine Entscheidung als rechtmäßig in Betracht kommt. Dann ist der Ermessensspielraum „auf Null“ reduziert. In unserem Kontext könnte das etwa bedeuten, dass so schutzwürdige Umstände vorliegen, dass die Behörde gar keinen Spielraum mehr hat und das Einreiseverbot zwingend aufzuheben oder auf minimalste Dauer zu befristen wäre.
Das Verwaltungsgericht prüft also beispielsweise: Hat das BAMF alle relevanten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt? Hat es den Zweck der Regelung beachtet (etwa die generalpräventive Wirkung, also die Abschreckung anderer, aber auch die individuellen Belange des Betroffenen)? Falls neue Entwicklungen eingetreten sind, mussten diese mit in die Abwägung einfließen?
Wichtig: Neue Tatsachen bis zur letzten mündlichen Verhandlung müssen in einem Verwaltungsprozess berücksichtigt werden. Das bedeutet, selbst wenn das BAMF zum Zeitpunkt seines Bescheides korrekt entschieden hat, kann die Entscheidung im Klageverfahren als rechtswidrig erkannt werden, wenn inzwischen erhebliche neue Umstände zugunsten des Betroffenen entstanden sind, die eine andere Ermessensausübung erfordert hätten.
Fallbeispiel: Ausbildungsplatz vs. Einreisesperre
Um zu verdeutlichen, wie eine solche Abwägung aussehen kann, werfen wir einen Blick auf einen Gerichtsfall, der ursprünglich im Jahr 2016 entschieden wurde, aber gerade vor dem Hintergrund der heutigen Rechtslage interessant bleibt:
Sachverhalt: Eine junge Frau aus Montenegro reiste im Sommer 2015 nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Da Montenegro als sicherer Herkunftsstaat gilt und keine asylrelevanten Fluchtgründe vorlagen, lehnte das BAMF ihren Asylantrag kurz darauf als offensichtlich unbegründet ab. Verbunden mit der Ablehnung ordnete die Behörde ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot an: Für den Fall der freiwilligen Ausreise wurde die Dauer der Sperre auf 10 Monate ab Ausreise festgelegt; sollte es zu einer Abschiebung kommen, wäre das Verbot ab dem Abschiebungsdatum 30 Monate (2½ Jahre) wirksam. Diese unterschiedliche Fristsetzung sollte – wie üblich – den freiwilligen Fortgang begünstigen.
Die Besonderheit in diesem Fall: Die Montenegrinerin hatte sich gut integriert und plante ihre Zukunft in Deutschland. Zum Zeitpunkt der Asylentscheidung besuchte sie bereits eine berufsqualifizierende Schule im Bereich Altenpflege. Kurze Zeit später ergatterte sie sogar einen Ausbildungsvertrag als Altenpflegerin, mit Ausbildungsbeginn im Herbst 2016. Sie absolvierte Praktika in Pflegeheimen und nahm engagiert an einem Integrationsprojekt teil. Kurz gesagt: Sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, sprach Deutsch und war auf dem besten Weg, einen Fachkräfteabschluss zu erwerben, der auch in Deutschland dringend gebraucht wird.
All das half ihr jedoch zunächst nichts: Da ihr Asylantrag abgelehnt war, besaß sie keinen rechtmäßigen Aufenthaltstitel mehr. Ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Ausbildung (§ 16a AufenthG, vormals § 17 AufenthG) lehnte die Ausländerbehörde ab – mit der Begründung, sie sei ohne das erforderliche Visum eingereist. Aus dem selben Grund erhielt sie auch keine Duldung (vorübergehende Aussetzung der Abschiebung) für die Ausbildung: Personen aus sicheren Herkunftsstaaten unterliegen nämlich besonderen Beschränkungen, darunter einem weitgehenden Beschäftigungs- und Ausbildungsverbot, wenn der Asylantrag nach dem 31. August 2015 gestellt wurde. Die Behörden verwiesen sie darauf, dass sie zunächst ausreisen und das Visumverfahren vom Heimatland aus nachholen müsse. Letztlich wurde die Frau im Juni 2016 – trotz ihres bevorstehenden Ausbildungsplatzes – nach Montenegro abgeschoben.
Gerichtsverfahren: Gegen das BAMF und die verfügten Sperrfristen erhob sie jedoch Klage vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg. Dort begehrte sie, das mit der Asylablehnung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben, hilfsweise zumindest die Dauer der Sperre auf Null zu reduzieren (d. h. eine sofortige Aufhebung der Frist zu erreichen). Ihre Argumentation: Die Behörde habe ihr Ermessen falsch ausgeübt, weil sie ihre individuellen Umstände und ihre positive Integration in Deutschland nicht ausreichend berücksichtigt habe.
Urteil: Teilweiser Erfolg durch fehlerhaftes Ermessen der Behörde
Das Verwaltungsgericht Lüneburg gab der Klage in Teilen recht. Es stellte fest, dass die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in diesem Fall ermessensfehlerhaft war und die Klägerin in ihrem Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung verletzte. Konkret bemängelte das Gericht, dass das BAMF die besonderen Integrationsleistungen der jungen Frau und ihre konkrete Berufsperspektive in Deutschland unberücksichtigt gelassen hatte.
Bereits im Anhörungsverfahren hatte die Frau angegeben, dass sie eine Altenpflege-Ausbildung in Deutschland anstrebe. Im Bescheid war dies jedoch von der Behörde als „nicht schutzwürdiges Interesse“ abgetan worden. Spätestens als sie einen unterschriebenen Ausbildungsvertrag und erfolgreich absolvierte Praktika vorweisen konnte, hätte dies – so das Gericht – bei der Ermessensentscheidung über das Einreiseverbot berücksichtigt werden müssen. Diese Entwicklungen begründeten nämlich ein erhebliches persönliches Interesse, legal in Deutschland bleiben oder zumindest möglichst bald wiederkehren zu dürfen.
Das Gericht betonte, dass zwar der generalpräventive Zweck des § 11 Abs. 7 AufenthG – nämlich andere Asylbewerber von missbräuchlichen Anträgen abzuschrecken – ein legitimes öffentliches Interesse sei. Jedoch dürfen individuelle schutzwürdige Belange des Ausländers nicht völlig hintangestellt werden. Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin durch ihre Ausbildungschance und Integration eine Greifbare Zukunftsperspektive in Deutschland, die es abzuwägen galt. Die vollständige Nichtberücksichtigung dieser positiven Umstände stellte einen Ermessensfehlgebrauch dar.
Folge der gerichtlichen Entscheidung war, dass der Bescheid des BAMF insoweit aufgehoben wurde. Das bedeutet: Das Einreise- und Aufenthaltsverbot in der festgesetzten Form war unwirksam. Allerdings erhielt die Klägerin nicht automatisch freie Wiedereinreise. Vielmehr hat sie lediglich einen Anspruch auf eine neue, diesmal ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Behörde. Das Gericht kann nämlich – wie oben erläutert – nicht selbst das Ermessen ausüben und z. B. die Frist eigenmächtig verkürzen oder auf Null setzen. Es kann nur die rechtswidrige Entscheidung aufheben. In der Praxis führte dies dazu, dass das BAMF den Fall erneut prüfen und bei der neuen Entscheidung die Ausbildungsmöglichkeit der Klägerin und andere aktuelle Umstände angemessen einbeziehen musste.
Eine Ermessensreduzierung auf Null – also die Konstellation, dass gar keine andere Entscheidung als die Aufhebung der Sperre rechtmäßig wäre – sah das Gericht hier nicht als gegeben an. Theoretisch hätte man argumentieren können, dass angesichts des dringenden Fachkräftebedarfs und ihrer vorbildlichen Integration das Ermessen auf Null reduziert sei (und die einzige richtige Entscheidung somit ein Verzicht auf jede Sperre wäre). Das VG Lüneburg war jedoch zurückhaltend: Es erkannte lediglich einen Fehler in der Abwägung, nicht aber, dass jede Sperrwirkung von vornherein unzulässig wäre. Somit blieb es bei dem Anspruch der Klägerin auf Neubescheidung unter Berücksichtigung aller Umstände.
Rechtslage und Rechtsprechung
Seit dem beschriebenen Fall aus 2016 hat sich sowohl gesetzlich als auch gerichtlich einiges getan. Deutschland hat in den letzten Jahren neue Bleiberechtsregelungen geschaffen, welche Fälle wie den obigen abmildern sollen. Insbesondere wurde Anfang 2020 die sogenannte Ausbildungsduldung (§ 60c AufenthG) eingeführt. Diese Regelung ermöglicht ausreisepflichtigen Personen, die eine qualifizierte Berufsausbildung aufgenommen haben, unter bestimmten Voraussetzungen eine Duldung für die gesamte Dauer der Lehre zu erhalten. Mit einer solchen Ausbildungsduldung ist man vor Abschiebung geschützt, kann seine Lehre abschließen und im Erfolgsfall sogar anschließend eine Aufenthaltserlaubnis bekommen (Stichwort „3+2-Regelung“ – 3 Jahre Ausbildung + 2 Jahre Beschäftigung). Allerdings gilt dies nicht uneingeschränkt: Wer aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt und seinen Asylantrag nach dem Stichtag (August 2015) gestellt hat, unterliegt einem gesetzlichen Arbeits- und Ausbildungsverbot während des Asylverfahrens. Eine Ausbildungsduldung scheidet in solchen Fällen aus, solange dieses Arbeitsverbot greift. Im Beispiel der Montenegrinerin hätte also trotz der heute existierenden § 60c-Regelung vermutlich ebenfalls kein Anspruch auf eine Ausbildungsduldung bestanden, da sie unter die Ausschlusskriterien für Staatsangehörige sicherer Herkunftsländer fiel.
Die Gerichte hatten in den Folgejahren mehrfach Gelegenheit, die Kriterien und Grenzen für Einreise- und Aufenthaltsverbote zu präzisieren. Eine wichtige Leitentscheidung hierzu erging durch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Jahr 2021. In zwei verbundenen Fällen (Az. 1 C 46.20 und 1 C 47.20) ging es genau um die Frage, wie Integrationsleistungen – insbesondere der Beginn einer Berufsausbildung – bei der Bemessung der Frist eines Einreise- und Aufenthaltsverbots zu berücksichtigen sind.
Das Bundesverwaltungsgericht stellte klar: Allein der Beginn einer qualifizierten Berufsausbildung reicht noch nicht aus, um zwingend eine kürzere Sperrfrist zu rechtfertigen. Erst der erfolgreiche Abschluss der Ausbildung begründet eine gewichtige Rückkehrperspektive, die aufenthaltsrechtlich relevant ist. Mit anderen Worten: Hat der Betroffene seine Lehre bereits abgeschlossen und damit eine anerkannte Qualifikation in der Hand, spricht vieles dafür, die Dauer des Einreiseverbots deutlich zu verkürzen – typischerweise um etwa die Hälfte. Im Fall der Kläger, die während des Gerichtsverfahrens ihre Ausbildung begonnen, aber noch nicht beendet hatten, entschied das BVerwG jedoch, dass die Standardfrist von 30 Monaten (2½ Jahre) rechtmäßig sein kann, solange keine weiteren besonderen Umstände vorliegen. Das Gericht begründete das damit, dass eine noch laufende Ausbildung zwar ein Bleibebestreben dokumentiert, aber noch keine sichere Bleibeperspektive für die Zukunft bietet – schließlich könnte die Ausbildung noch abgebrochen oder nicht erfolgreich beendet werden.
Dennoch betonte das Bundesverwaltungsgericht, dass Integrationsleistungen grundsätzlich in die Ermessensabwägung einzubeziehen sind. Behördliche Entscheidungen dürfen nicht schematisch nur auf generalpräventive Erwägungen abstellen. Vielmehr ist ein Interessenausgleich vorzunehmen: Auf der einen Seite das öffentliche Interesse, die freiwillige Ausreise konsequent durchzusetzen und unberechtigte Asylbewerber fernzuhalten; auf der anderen Seite das individuelle Interesse des Betroffenen an einer perspektivischen Rückkehrmöglichkeit. Letzteres gewinnt an Gewicht, wenn etwa schon eine feste Arbeits- oder Ausbildungsstelle in Aussicht steht oder besondere humanitäre Gründe vorliegen.
Ein praktischer Hinweis aus dem BVerwG-Urteil: Sollte ein Ausländer seine qualifizierte Ausbildung erst nach Abschluss des Gerichtsverfahrens erfolgreich beenden, so ist er nicht rechtlos gestellt. Er kann dann bei der zuständigen Ausländerbehörde einen Antrag stellen, die Sperrfrist nachträglich zu verkürzen (§ 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Die Ausländerbehörden sind nämlich – nach Abschluss des Asylverfahrens – dafür zuständig, über die Aufhebung oder Verkürzung eines bestehenden Einreiseverbots zu entscheiden. Genau das wurde in einer aktuellen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im November 2025 nochmals hervorgehoben: Nach bestandskräftigem Abschluss des Asylverfahrens geht die Zuständigkeit für weitere Entscheidungen über Einreisesperren vom BAMF auf die örtliche Ausländerbehörde über. Wer also später neue Gründe vorbringen kann (etwa erfolgreiche Integration im Heimatland, Wegfall von Gefahren, abgeschlossene Ausbildung etc.), muss sich an die Ausländerbehörde wenden, um eine vorzeitige Aufhebung oder Verkürzung der Sperre zu erwirken.
Zuletzt hat die Rechtsprechung auch die Vorgaben des EU-Rechts im Blick: Die EU-Rückführungsrichtlinie (2008/115/EG) schreibt vor, dass Einreiseverbote an Rückkehrentscheidungen geknüpft sein sollen. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot ist im Grunde die Ergänzung einer Ausweisung oder Abschiebungsanordnung. Deutsche Gerichte – bis hin zum BVerwG im Jahr 2025 – haben klargestellt, dass es keine „isolierten“ Einreisesperren geben darf, die losgelöst von einer Ausreisepflicht verhängt werden. Mit anderen Worten: Nur wenn ein Ausländer tatsächlich zur Ausreise verpflichtet wurde (und diese Verpflichtung durchsetzbar ist), kann und darf ein Einreiseverbot als begleitende Maßnahme ausgesprochen werden. Dieser Aspekt spielte etwa in Fällen eine Rolle, in denen jemand zwar ausgewiesen wurde, aber mangels Abschiebemöglichkeit im Land bleiben musste – hier ist eine reine Titelsperre (Verbot, einen Aufenthaltstitel zu erlangen) ohne echte Ausreisemöglichkeit rechtlich nicht haltbar.
Fazit
Für die Praxis im November 2025 lässt sich folgendes festhalten: Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG ist ein scharfes Schwert der Aufenthaltsbeendigung, das dazu dient, die illegale Wiedereinreise zu verhindern. Doch Behörden müssen bei dessen Anordnung sorgfältig prüfen, ob besondere Umstände des Einzelfalls eine Abweichung von der Regel gebieten. Gerade bei gut integrierten Ausländern, die zwar ausreisen müssen, aber etwa eine Berufsausbildung begonnen oder andere starke Bindungen aufgebaut haben, ist eine differenzierte Ermessensausübung erforderlich. Die aktuelle Rechtsprechung trägt dem Rechnung, indem sie verlangt, Integrationsleistungen und persönliche Bleibeinteressen in die Abwägung einzustellen. Allerdings werden an die Bedeutung dieser Integrationsleistungen auch hohe Anforderungen gestellt – ein bloßes Bemühen reicht nicht immer aus, es muss zumeist schon zu greifbaren Erfolgen (z. B. abgeschlossene Ausbildung) gekommen sein, um eine deutliche Verkürzung der Sperre zu erzielen.
Betroffene, die mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot belegt wurden, sollten ihre Rechtsmittelmöglichkeiten ausschöpfen. Innerhalb der Fristen kann Widerspruch eingelegt und Klage erhoben werden. Dabei gilt es, sämtliche positiven Umstände – von familiären Bindungen über Gesundheitsaspekte bis hin zu Integrationsleistungen – vorzubringen, damit sie im Verfahren berücksichtigt werden. Und selbst nach einer bestandskräftigen Entscheidung besteht die Option, bei veränderten Umständen einen Verkürzungsantrag bei der Ausländerbehörde zu stellen.
Für Ausländer aus sicheren Herkunftsstaaten bleibt die Rechtslage zwar in mancher Hinsicht strikt (Stichwort Arbeitsverbot und Schnellverfahren), doch auch hier müssen Behörden und Gerichte jeden Einzelfall fair behandeln. Die Balance zwischen Migrationssteuerung und Einzelschicksal ist anspruchsvoll – die aktuellen Regeln und Urteile zeigen jedoch, dass beide Seiten Gehör finden: Die Durchsetzung der Ausreisepflicht auf der einen Seite, und die Chance auf einen Neustart unter legalen Bedingungen auf der anderen Seite.
Wichtiger Hinweis: Dieser Beitrag wurde nach bestem Wissen und aktuellem Kenntnisstand (Stand: November 2025) erstellt. Dennoch ist das Migrationsrecht komplex und ständigen Veränderungen unterworfen. Daher können wir keine Gewähr für die vollständige Richtigkeit oder Aktualität der Angaben übernehmen. Dieser Artikel ersetzt keine Rechtsberatung im Einzelfall.
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