Ausländerrecht: Gleiche Beurteilung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG bei Familien

Wer in Deutschland Asyl beantragt, durchläuft ein Verfahren nach dem Asylgesetz (AsylG). Zuständig ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). In einem Bescheid entscheidet das BAMF in mehreren Stufen darüber, ob Schutz gewährt wird:

  1. Asylgrundrecht (Art. 16a GG) – historisch wichtig, in der Praxis aber selten, weil die meisten Verfahren EU‑rechtlich über die Flüchtlingseigenschaft laufen.

  2. Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) – Umsetzung der Genfer Flüchtlingskonvention.

  3. Subsidiärer Schutz (§ 4 AsylG) – bei drohender Todesstrafe, Folter oder ernsthaften individuellen Gefahren in einem bewaffneten Konflikt.

  4. Nationale Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG) – wenn weder Flüchtlingsschutz noch subsidiärer Schutz vorliegen, ein Wegschieben in den Zielstaat aber aus menschenrechtlichen Gründen dennoch unzulässig wäre.

Die Prüfung der Abschiebungsverbote ist ausdrücklich Aufgabe des BAMF; das ergibt sich heute u.a. aus § 24 und § 31 AsylG.

Dabei ist wichtig zu unterscheiden:

  • Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote:
    Es geht um die Gefahr im Zielstaat der Abschiebung – also z.B. Afghanistan, Syrien, Irak, Iran, Türkei, Somalia, Eritrea, Nigeria, Pakistan, Russland oder Belarus, aber auch um Überstellungen in andere EU‑Staaten wie Griechenland, Italien, Bulgarien oder Kroatien.
    Hier greifen insbesondere § 60 Abs. 1, 2, 3, 5 und 7 AufenthG.

  • Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse:
    Das sind Gründe, die mit der Situation in Deutschland zusammenhängen – z.B. die aktuelle gesundheitliche Transportfähigkeit, besondere familiäre Bindungen hier oder formale Fehler der Behörde. Diese Gründe können die Vollziehung einer Abschiebung blockieren oder verzögern, begründen aber grundsätzlich kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG.

Diese Trennung zwischen zielstaats‑ und inlandsbezogenen Gründen ist durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) nochmals deutlich geschärft worden (dazu unten unter IV.).

II. § 60 AufenthG und Art. 3 EMRK – Schutz vor Folter, unmenschlicher Behandlung und extremer Not

1. Inhalt von § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG

§ 60 AufenthG bündelt das sogenannte Zurückschiebungs‑ und Zurückweisungsverbot („Non‑Refoulement“). In Abs. 5 verweist der Gesetzgeber auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), insbesondere auf Art. 3 EMRK (Verbot von Folter sowie unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung).

Vereinfacht gesagt:

  • § 60 Abs. 5 AufenthG schützt davor, in einen Staat abgeschoben zu werden, in dem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung der EMRK – vor allem des Art. 3 – droht.

  • § 60 Abs. 7 AufenthG schützt vor „sonstigen erheblichen Gefahren“ für Leib, Leben oder Freiheit, insbesondere vor schweren krankheitsbedingten Risiken oder extremen individuellen Gefahren (z.B. bei besonders vulnerablen Personen).

Die Schwelle liegt hoch: Schlechtere Lebensverhältnisse, Armut oder eine angespannte Versorgungslage genügen nicht. Es muss sich um eine extreme humanitäre Notlage handeln, in der elementare Grundbedürfnisse – Unterkunft, Nahrung, minimale medizinische Versorgung – dauerhaft nicht mehr gesichert sind. Diese Linie wurde in der jüngeren Rechtsprechung vor allem bei Rückführungen anerkannter Schutzberechtigter nach Griechenland und Italien bestätigt: Für alleinstehende, arbeitsfähige und nicht besonders vulnerable Schutzberechtigte sieht das BVerwG derzeit weder in Griechenland noch in Italien eine Art.‑3‑ bzw. Art.‑4‑GRCh‑Verletzung durch die allgemeinen Aufnahmebedingungen.

2. Verschärfungen im Sicherheitsrecht – § 60 Abs. 8 ff. AufenthG

Die Paragraphen 60 Abs. 8 bis 8b AufenthG wurden in den letzten Jahren mehrfach verschärft, zuletzt durch das Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems vom 25.10.2024.

Kernpunkt:

  • Bei bestimmten schweren Straftaten oder Gefährdungskonstellationen (insbesondere mit terroristischem oder extremistischem Bezug) kann von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG – also vom flüchtlingsrechtlichen Schutz – abgesehen oder die Flüchtlingseigenschaft gar nicht erst zuerkannt werden.

  • Das ändert jedoch nichts daran, dass eine Abschiebung in einen Staat, in dem dem Betroffenen Folter oder unmenschliche Behandlung drohen würde, nach Art. 3 EMRK weiterhin unzulässig ist. In solchen Konstellationen bleibt § 60 Abs. 5 AufenthG als „Notbremse“ bestehen; die betroffene Person erhält dann häufig zwar keinen regulären Schutzstatus, ist aber faktisch vor Abschiebung in diesen Staat geschützt.

III. Aufenthaltserlaubnis beim Abschiebungsverbot – § 25 Abs. 3 AufenthG und neue Pflichten

Stellt das BAMF (oder später ein Gericht) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG fest, wird die betroffene Person zum national Schutzberechtigten. Rechtsfolge:

  • Nach § 25 Abs. 3 AufenthG soll eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt werden.

  • Diese Aufenthaltserlaubnis ist zunächst befristet, kann aber verlängert werden und eröffnet – abhängig vom Einzelfall – den Weg zu längerfristigen Statusformen (z.B. Niederlassungserlaubnis).

Allerdings enthält § 25 Abs. 3 AufenthG inzwischen einen deutlichen Katalog von Ausschlussgründen:

  • wiederholte oder gröbliche Verstöße gegen Mitwirkungspflichten (z.B. falsche Angaben, Identitätstäuschung),

  • schwere Kriminalität,

  • Verbrechen gegen den Frieden oder gegen Menschlichkeit,

  • eine Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland.

Wer unter diese Ausschlussgründe fällt, behält zwar das Abschiebungsverbot (eine Rückführung in den Gefahrenstaat bleibt verboten), erhält aber häufig keinen Aufenthaltstitel, sondern nur eine Duldung. Das ist aus menschenrechtlicher Sicht heikel, wird aber politisch mit Sicherheitsinteressen begründet.

Neu: Meldepflicht bei Reisen in den Herkunftsstaat (§ 47b AufenthG)

Seit dem 31.10.2024 gibt es § 47b AufenthG. Danach müssen

  • Asylberechtigte,

  • international Schutzberechtigte (Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigte) und

  • Personen mit festgestelltem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG

jede Reise in ihren Herkunftsstaat und den Grund der Reise vorab der Ausländerbehörde anzeigen. Die Behörde leitet die Meldung an das BAMF weiter, das prüfen muss, ob ein Widerruf des Schutzstatus bzw. des Abschiebungsverbots in Betracht kommt. Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht kann als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.

Für die Praxis heißt das: Wer z.B. als Afghane, Syrer, Iraker, Iraner, Somalier, Eritreer, Nigerianer, Pakistaner, Russe oder Belarusse mit Abschiebungsverbot lebt und in das Herkunftsland reisen möchte – etwa aus familiären Gründen –, sollte sich zwingend vorab beraten lassen.

IV. Der Fall VG München 2017 – und seine Einordnung in die heutige Rechtslage

1. Kurz zum Sachverhalt

Der Kläger im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht München war afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste im Dezember 2015 gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinem Sohn auf dem Landweg nach Deutschland ein und stellte im Juli 2016 einen Asylantrag.

Er trug u.a. vor:

  • sein Vater sei im Oktober 2015 entführt und später getötet worden,

  • seiner Mutter sei gedroht worden, auch ihn zu töten,

  • sein Sohn leide an Tuberkulose,

  • seine Ehefrau sei bei Einreise im siebten Monat schwanger gewesen.

Das BAMF lehnte den Antrag im Januar 2017 ab. Es verneinte sowohl Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz als auch subsidiären Schutz und sah weder eine individuelle Gefährdung noch ein Abschiebungsverbot. Zur Begründung hieß es u.a., der Kläger sei ein gesunder, arbeitsfähiger junger Mann, der sich in Afghanistan das Existenzminimum sichern könne; staatlicher Schutz sei grundsätzlich möglich.

Der Kläger verwies demgegenüber darauf, dass seiner Ehefrau und seinem Sohn bereits im Dezember 2016 ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zuerkannt worden war und die Sicherheitslage in seiner Heimatstadt von schweren Kampfhandlungen geprägt sei. Im Laufe des Gerichtsverfahrens nahm er seine Anträge auf Asyl und Flüchtlingsschutz zurück und verfolgte nur noch die Feststellung eines Abschiebungsverbots.

2. Die Entscheidung des VG München (2017)

Das Verwaltungsgericht München gab dem Kläger Recht und stellte ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK fest.

Wesentliche Eckpunkte der Begründung – stark vereinfacht:

  • Art. 3 EMRK schützt vor einer Behandlung, die ein Mindestmaß an menschlicher Würde unterschreitet.

  • Im Fall des Klägers sei von einer einheitlichen Familienrückkehr auszugehen; er könne nicht isoliert als „alleinstehender junger Mann“ betrachtet werden. Art. 6 GG (Schutz von Ehe und Familie) gebiete es, die Familie als Gesamtverbund zu sehen.

  • Für die Familie – mit krankem Kind und weiterem Kleinkind – sei angesichts der damaligen Sicherheitslage, der schlechten medizinischen Versorgung und der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit in Afghanistan eine Rückkehr mit einem ernsthaften Risiko verbunden, einer Art.‑3‑widrigen Behandlung ausgesetzt zu sein.

Das Gericht sah daher einen Ausnahmefall der allgemeinen humanitären Notlage, in dem Art. 3 EMRK greift, obwohl die Gefährdung nicht nur auf gezielten Übergriffen, sondern auch auf der Kombination von Gewalt, Instabilität und fehlender Versorgung im Herkunftsstaat beruht.

Die Kernaussage bleibt auch im Jahr 2025 tragfähig: In besonders gelagerten Konstellationen – insbesondere bei Familien mit kleinen Kindern oder schwer Erkrankten – können allgemeine Verhältnisse im Herkunftsstaat in Verbindung mit der individuellen Situation eine Art.‑3‑Verletzung begründen.

V. Aktuelle Leitentscheidung: BVerwG, Urt. v. 22.05.2025 – 1 C 4.24

1. Hintergrund des Verfahrens

In der Entscheidung 1 C 4.24 hatte das Bundesverwaltungsgericht über Fälle zu entscheiden, in denen Ausländer mit familiären Bindungen in Deutschland zwar keinen Anspruch auf Asyl, Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz hatten, die Vorinstanz aber ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG allein wegen

  • des Kindeswohls und

  • der familiären Bindungen in Deutschland

angenommen hatte.

Die Vorinstanz hatte sich dabei auf Art. 5 der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG berufen. Diese schreibt vor, dass die Mitgliedstaaten bei Rückkehrentscheidungen das Kindeswohl, die familiären Bindungen und den Gesundheitszustand des Betroffenen berücksichtigen müssen.

2. Kernaussage des BVerwG

Das BVerwG hat diese Sichtweise ausdrücklich zurückgewiesen und klargestellt:

  • Inlandsbezogene Belange – also insbesondere das Wohl des Kindes, familiäre Bindungen im Bundesgebiet und der aktuelle Gesundheitszustand im Hinblick auf die Durchführung der Rückkehr – können kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG begründen.

  • Diese Aspekte sind vielmehr im Rückkehrverfahren zu berücksichtigen, konkret im Rahmen der Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG und der Anwendung der Rückführungsrichtlinie. Das deutsche Recht setzt Art. 5 der Richtlinie heute ausdrücklich in § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG um: Eine Abschiebungsandrohung darf nur ergehen, wenn der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand entgegenstehen.

Dogmatisch zieht das Gericht eine deutliche Linie:

  • § 60 Abs. 5 AufenthG bleibt auf zielstaatsbezogene Risiken beschränkt (Folter, unmenschliche Haftbedingungen, extreme Not im Zielstaat etc.).

  • Kindeswohl, familiäre Bindungen und Gesundheitszustand im Inland sind Vollzugsfragen und gehören in die Prüfung der Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der Abschiebungsandrohung bzw. später der Abschiebung selbst.

Für die Praxis bedeutet das:

  • Argumente wie „das Kind ist hier gut integriert“, „die Familie lebt geschlossen in Deutschland“ oder „der Betroffene ist derzeit nicht reisefähig“ sind heute primär gegen die Abschiebungsandrohung bzw. gegen den Vollzug der Abschiebung zu richten, nicht (mehr) zur Begründung eines §‑60‑Abs.‑5‑Abschiebungsverbots.

  • Zielstaatsbezogene Risiken – etwa Folterdrohung, Verfolgung durch Milizen, extrem schlechte medizinische Versorgung im Herkunftsstaat – bleiben dagegen zentrale Ansatzpunkte für § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG.

3. Einordnung des Münchener Urteils aus heutiger Sicht

Die Entscheidung des VG München von 2017 lässt sich mit der neuen BVerwG‑Rechtsprechung weitgehend in Einklang bringen, wenn man genau hinschaut:

  • Dass das VG München die Familie als Einheit betrachtet hat, ist auch nach heutiger Sicht zulässig – soweit es um die Frage geht, welchen konkreten Gefahren die Familie im Zielstaat Afghanistan ausgesetzt wäre.

  • Unzulässig wäre es dagegen, allein aus der Integration der Kinder in Deutschland oder aus der bloßen Tatsache, dass die Familie hier lebt, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG abzuleiten.

Im Ergebnis würde man den Fall heute wohl ähnlich aufbauen: Der Fokus läge dogmatisch klarer auf den konkreten zielstaatsbezogenen Gefahren für die Familie (Sicherheitslage, medizinische Versorgung, besondere Vulnerabilität der Kinder), während Art. 6 GG und das Kindeswohl auf der Stufe der Abschiebungsandrohung und des Vollzugs stärker verortet würden.

VI. Weitere aktuelle Entwicklungen und Beispiele aus der Rechtsprechung

Die Diskussion um Abschiebungsverbote spielt sich längst nicht nur bei Rückführungen nach Afghanistan oder Syrien ab, sondern auch in anderen Kontexten:

  1. Anerkannte Schutzberechtigte in anderen EU‑Staaten (Griechenland, Italien u.a.)
    Das BVerwG und verschiedene Oberverwaltungsgerichte haben seit 2023 in Grundsatzentscheidungen klargestellt, dass alleinstehenden, arbeitsfähigen und nicht vulnerablen anerkannten Flüchtlingen bei einer Rückkehr nach Griechenland oder Italien derzeit grundsätzlich keine mit Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh unvereinbare Behandlung droht. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG kommen dort vor allem bei besonders vulnerablen Personen (Familien mit Kleinstkindern, Schwerkranken, traumatisierten Personen) in Betracht.

  2. Nichtzurückweisung in den Herkunftsstaat trotz Flüchtlingsanerkennung im Ausland
    Das VG Hannover hat 2025 zur Auslegung von § 60 Abs. 1 AufenthG entschieden, dass der Grundsatz der Nichtzurückweisung auch dann greift, wenn eine Person in einem anderen Staat bereits als Flüchtling anerkannt ist und Deutschland die Abschiebung in den Herkunftsstaat androht: Die Vorschrift schützt in dieser Konstellation weiterhin vor Rückführung in den Verfolgerstaat.

  3. Diplomatische Zusicherungen bei Abschiebungsanordnungen (§ 58a AufenthG)
    In sicherheitsrechtlichen Verfahren (Abschiebungsanordnung gegen sog. Gefährder) hat das BVerwG 2023 betont, dass diplomatische Zusicherungen des Zielstaats nur dann geeignet sind, eine Art.‑3‑Gefahr auszuräumen, wenn sie hinreichend konkret, überprüfbar und verlässlich sind. Andernfalls bleibt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bestehen, auch wenn gewichtige Sicherheitsinteressen entgegenstehen.

In der Praxis betreffen Abschiebungsverbote daher nicht nur „klassische“ Kriegs- und Krisenstaaten wie Afghanistan, Syrien, Irak, Iran, Somalia oder Eritrea, sondern auch Staaten mit autoritären Tendenzen (z.B. Russland, Belarus), Staaten mit ausgeprägten regionalen Konflikten (z.B. Nigeria, Pakistan) sowie Überstellungen innerhalb der EU, insbesondere nach Griechenland, Italien, Bulgarien oder Kroatien.

VII. Was bedeutet das für Betroffene und ihre Berater?

Für Ratsuchende, aber auch für Berater und Kolleginnen und Kollegen ergeben sich aus der heutigen Rechtslage einige klare Leitlinien:

  1. Zielstaatsbezogene Gefahren sauber herausarbeiten

    • Konkreter Vortrag zu Sicherheitslage, Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure, Zugang zu Unterkunft, Nahrung und medizinischer Versorgung im Herkunftsstaat.

    • Bei Familien: Welche besonderen Risiken bestehen für Kinder, Schwangere, Erkrankte?

  2. Gesundheitliche Aspekte präzise belegen

    • Ärztliche Atteste, idealerweise mit Aussage zu Diagnose, Schweregrad, notwendiger Behandlung und den Folgen einer Unterbrechung oder Nichtfortführung im Zielstaat.

    • Bei psychischen Erkrankungen: strukturierte Gutachten mit Bezug zu Art. 3 EMRK und der Rechtsprechung zur Suizidgefahr.

  3. Kindeswohl und familiäre Bindungen richtig platzieren

    • Diese Argumente gehören heute in erster Linie zur Prüfung der Abschiebungsandrohung und des Vollzugs (§ 34 AsylG, Art. 5 Rückführungsrichtlinie), nicht zur Begründung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG.

    • Parallel kann – je nach Fall – eine Aufenthaltserlaubnis wegen nachhaltiger Integration (§§ 25a, 25b AufenthG) oder ein Härtefallantrag geprüft werden.

  4. Neue Meldepflichten unbedingt beachten

    • Reisen in den Herkunftsstaat sind seit 2024 anzeigepflichtig, wenn internationaler Schutz oder ein Abschiebungsverbot besteht. Wer diese Pflicht ignoriert, riskiert Bußgelder und vor allem eine Überprüfung bzw. den Widerruf des Schutzstatus.

VIII. Fazit

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München aus dem Jahr 2017 zeigt exemplarisch, wie Gerichte in besonderen Konstellationen – hier eine afghanische Familie mit kleinen Kindern und krankem Sohn – ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bejahen können.

Die Rechtslage im November 2025 ist durch mehrere Gesetzesreformen (Rückführungsverbesserungsgesetz, Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems) und eine verdichtete höchstrichterliche Rechtsprechung weiter konturiert worden:

  • § 60 Abs. 5 AufenthG bleibt das zentrale Instrument zur Umsetzung des menschenrechtlichen Non‑Refoulement‑Gebots, konzentriert auf Gefahren im Zielstaat.

  • Inlandsbezogene Belange wie Kindeswohl und familiäre Bindungen sind heute noch stärker als eigene Prüfungsstufe im Rückkehrverfahren verankert.

  • Gleichzeitig haben Sicherheitsaspekte und Kontrollmechanismen (Ausschlussgründe, Meldepflichten bei Heimreisen) spürbar an Gewicht gewonnen.

Für Betroffene bedeutet dies: Wer ein Abschiebungsverbot erreichen oder verteidigen will, braucht einen möglichst genauen, aktuellen und gut belegten Vortrag zu den Verhältnissen im Herkunftsstaat und zur eigenen Vulnerabilität – und eine klare Strategie, an welcher Stelle des komplizierten Migrationsrechts‑„Puzzles“ welches Argument platziert wird.

Wichtiger Hinweis:
Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Rechtslage und Rechtsprechung Stand November 2025. Die Materie ist komplex und unterliegt ständigen Änderungen. Eine Haftung für die inhaltliche Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wird ausgeschlossen und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.

Wenn Sie rechtliche Beratung benötigen, erreichen Sie uns unverbindlich unter der Rufnummer 0221 – 80187670 oder per E‑Mail an info@mth-partner.de.

Rechtsanwälte in Köln beraten und vertreten Mandanten bundesweit im Ausländerrecht

Bild von Helmer Tieben

Helmer Tieben

Ich bin Helmer Tieben, LL.M. (International Tax), Rechtsanwalt und seit 2005 bei der Rechtsanwaltskammer Köln zugelassen. Ich bin auf Mietrecht, Arbeitsrecht, Migrationsrecht und Digitalrecht spezialisiert und betreue sowohl lokale als auch internationale Mandanten. Mit einem Masterabschluss der University of Melbourne und langjähriger Erfahrung in führenden Kanzleien biete ich klare und effektive Rechtslösungen. Sie können mich auch über
Xing erreichen Helmer Tieben
sowie über X:
Helmer Tieben.

Linkedln

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert