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Keine rückwirkende Aufenthaltserlaubnis für Geduldete: Verwaltungsgericht Aachen bestätigt strikte Trennung im Fachkräfteeinwanderungsrecht

Verwaltungsgericht Aachen entscheidet zur rückwirkenden Aufenthaltserlaubnis nach dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz – Kein Spurwechsel für qualifizierte Geduldete möglich

Am 29. Juli 2021 traf das Verwaltungsgericht Aachen in dem Verfahren mit dem Aktenzeichen 8 K 2528/20 eine bedeutsame Entscheidung zur aufenthaltsrechtlichen Einordnung qualifizierter Geduldeter im Rahmen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob ein geduldeter Ausländer rückwirkend eine Aufenthaltserlaubnis nach der Vorschrift des § 18 Aufenthaltsgesetz in der alten Fassung sowie ab dem 1. März 2020 nach § 18b Absatz 1 Aufenthaltsgesetz in der neuen Fassung beanspruchen kann. Ziel war es, über diese rückwirkende Umstellung Zugang zu den erleichterten Voraussetzungen für eine Niederlassungserlaubnis zu erhalten. Das Gericht lehnte diesen Antrag jedoch ab und bestätigte die rechtliche Trennung zwischen humanitär motivierten Aufenthaltserlaubnissen für Geduldete und den Aufenthaltstiteln für reguläre Fachkräfte.

Sachverhalt: Von Studium über Duldung zur Beschäftigung

Der Kläger, ein tunesischer Staatsangehöriger, reiste 2008 zum Zweck eines Maschinenbaustudiums nach Deutschland ein. Nach anfänglichem rechtmäßigem Aufenthalt kam es wegen Studienverzögerungen zu Problemen bei der Verlängerung seines Aufenthaltstitels. Infolgedessen wurde er bis zum erfolgreichen Abschluss seines Studiums im Januar 2018 lediglich geduldet. Nach dem Studienabschluss erhielt er im April 2018 erstmals eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18a Absatz 1 Nummer 1a Aufenthaltsgesetz in der bis zum 29. Februar 2020 geltenden Fassung. Diese Regelung richtete sich speziell an qualifizierte Geduldete und ermöglichte ihm die Beschäftigung als Werkstoffprüfer in einem Unternehmen in Nordrhein-Westfalen. Die Tätigkeit war laut Handwerkskammer Aachen adäquat zu seinem Hochschulabschluss.

Die Aufenthaltserlaubnis wurde im August 2019 durch die zuständige Ausländerbehörde auf Grundlage des Antrags des Klägers erneut verlängert. Zu diesem Zeitpunkt beantragte er lediglich die Verlängerung seiner bisherigen Aufenthaltserlaubnis. Erst im Mai 2020, und damit nach Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, stellte der Kläger den formellen Antrag, ihm rückwirkend eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 Aufenthaltsgesetz in der alten Fassung sowie ab dem 1. März 2020 nach § 18b Aufenthaltsgesetz in der neuen Fassung zu erteilen. Ziel war, einen Aufenthaltstitel im Regime der regulären Fachkräfteeinwanderung zu erlangen und so früher Zugang zur unbefristeten Niederlassungserlaubnis zu erhalten.

Die Entscheidung: Kein Anspruch auf rückwirkende Aufenthaltserlaubnis ohne eindeutigen Antrag

Das Verwaltungsgericht stellte klar, dass eine rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich einen förmlichen Antrag voraussetzt. Dieser war im konkreten Fall erst am 22. Mai 2020 eingegangen. Die früheren Kontakte mit der Ausländerbehörde, insbesondere E-Mails und das Antragsformular vom August 2019, bezogen sich ausdrücklich auf die Verlängerung der bisherigen Aufenthaltserlaubnis nach § 18a Aufenthaltsgesetz für Geduldete. Das Gericht stellte fest, dass diese Anträge aus Sicht der Behörde nicht als weitergehendes Gesuch nach § 18 Aufenthaltsgesetz auszulegen waren. Auch eine Pflicht zur Aufklärung oder Beratung im Sinne einer Umdeutung des Antrags bestand nicht. Die Ausländerbehörde war nicht verpflichtet, den Kläger auf mögliche Vorteile eines anderen Aufenthaltstitels hinzuweisen, insbesondere nicht auf eine Gesetzesänderung, die erst Monate später in Kraft trat.

Zweckmäßigkeit und Systematik des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes sprechen gegen einen Spurwechsel

Ein zentraler Aspekt der gerichtlichen Begründung war die bewusste gesetzgeberische Trennung zwischen der Erwerbsmigration über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz und der Aufenthaltserlaubnis für ehemals geduldete Personen. Das Gericht führte aus, dass das Fachkräfteeinwanderungsgesetz mit Wirkung zum 1. März 2020 ein zweigleisiges System geschaffen habe. Auf der einen Seite stehen Aufenthaltstitel für ausländische Fachkräfte, die regulär mit einem Visum zur Erwerbstätigkeit einreisen oder bereits rechtmäßig in Deutschland leben. Auf der anderen Seite existiert ein eigenes Regelwerk für geduldete Ausländer, denen unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 19d Aufenthaltsgesetz erteilt werden kann.

Das Gericht machte deutlich, dass ein sogenannter Spurwechsel, also der Übergang vom Regime der Duldung zur Fachkräfteeinwanderung, nicht vorgesehen ist. Vielmehr stellt § 19d Aufenthaltsgesetz eine eigenständige, abschließende Sonderregelung dar. Eine nachträgliche Umdeutung oder Korrektur des Aufenthaltstitels würde das gesetzgeberische System unterlaufen. Zudem war der Kläger aus Sicht des Gerichts auch nicht berechtigt, in den Anwendungsbereich des § 18b Aufenthaltsgesetz einzutreten, da dieser ausdrücklich nicht auf Personen zugeschnitten ist, die über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 19d Aufenthaltsgesetz verfügen.

Keine erleichterte Niederlassungserlaubnis für Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19d AufenthG

Ein wesentlicher Beweggrund des Klägers war der Wunsch, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, die ihm einen erleichterten Zugang zur Niederlassungserlaubnis eröffnet. Die neue Regelung des § 18c Aufenthaltsgesetz sieht vor, dass Fachkräfte, die über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18a oder § 18b verfügen, bereits nach zwei oder vier Jahren eine Niederlassungserlaubnis beantragen können. Inhaber eines Aufenthaltstitels nach § 19d sind jedoch von dieser Privilegierung bewusst ausgeschlossen. Das Gericht verwies auf die Gesetzgebungsmaterialien, wonach diese Differenzierung ausdrücklich dem Ziel dient, Erwerbsmigration gezielt zu steuern und nicht über Umwege aus dem Duldungsstatus zu ermöglichen.

Ermessensspielräume der Behörde nicht eröffnet – keine Neubescheidung möglich

Da bereits die formalen Voraussetzungen für eine Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht erfüllt waren, war das Gericht nicht gehalten, die Sache zur erneuten Entscheidung an die Behörde zurückzugeben. Auch ein Anspruch auf Neubescheidung unter Berücksichtigung der gerichtlichen Rechtsauffassung wurde abgelehnt. Damit war der Klage insgesamt der Erfolg zu versagen.

Bedeutung des Urteils für das deutsche Aufenthaltsrecht

Dieses Urteil hat weitreichende Bedeutung für das Aufenthaltsrecht und die Praxis der Ausländerbehörden. Es bestätigt, dass der Gesetzgeber bewusst zwei getrennte aufenthaltsrechtliche Wege geschaffen hat: einen für reguläre Fachkräfte mit Visum oder Aufenthaltstitel und einen für ehemals geduldete Personen. Die Entscheidung unterstreicht auch, dass ein Wechsel zwischen diesen Systemen ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage nicht zulässig ist. Wer eine rechtlich bessere aufenthaltsrechtliche Position anstrebt, muss dies klar und rechtzeitig beantragen. Verspätete oder unklare Anträge können im Nachhinein nicht in einen günstigeren Titel umgedeutet werden.

Fazit: Fachkräfteeinwanderung nur über den vorgesehenen rechtlichen Weg

Zusammenfassend macht die Entscheidung deutlich, dass das deutsche Aufenthaltsgesetz ein strukturiertes, trennscharfes System vorsieht, das zwischen verschiedenen Gruppen von Ausländern differenziert. Ein geduldeter Ausländer kann auch nach erfolgreicher Integration und qualifizierter Beschäftigung nicht automatisch in das Regime für Fachkräfte wechseln. Die Aufenthaltserlaubnis für qualifizierte Geduldete bleibt ein eigenständiger Titel mit eigenen Anforderungen und rechtlichen Grenzen. Wer von den Vorteilen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes profitieren möchte, muss diese über den gesetzlich vorgesehenen Weg und unter Einhaltung der Verfahrensregeln beantragen. Das Urteil stärkt somit die Rechtsklarheit und die Steuerungsfunktion der deutschen Migrationspolitik.

Wichtiger Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrages ist nach bestem Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige Wandel der behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.

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