Landesarbeitsgericht Köln, 26.01.2023, Az. 8 Sa 473/22
Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts (LAG) Köln vom 26. Januar 2023 (Az. 8 Sa 473/22) betrifft gleich mehrere arbeitsrechtliche Kernfragen: Versetzung Ausland Arbeitsrecht, Grenzen des Direktionsrechts, Anforderungen an Änderungskündigungen und die Wirksamkeit von Kündigungen wegen angeblich falscher Beschuldigungen.
Für Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist das Urteil ein Lehrbuchfall dafür, wann Weisungen unwirksam sind und wann Kündigungen vor Gericht keinen Bestand haben.
Der Sachverhalt: Vom leitenden Angestellten zum Schalter in Istanbul
Der Kläger, seit 2010 bei einer teilstaatlichen türkischen Fluggesellschaft beschäftigt, verdiente zuletzt als Operations- und Verkaufsleiter in Köln rund 6.833 Euro brutto.
Anfang 2020 kam es zu zwei drastischen Weisungen:
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06. Januar 2020: Versetzung an den Flughafenschalter Köln/Bonn als Sachbearbeiter – eine deutlich geringer bewertete Tätigkeit.
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24. Februar 2020: Versetzung ab 01. März 2020 als Sachbearbeiter nach Istanbul, mit einer Frist von nur sechs Tagen zur Entscheidung.
Der Kläger lehnte beide Versetzungen ab. Wenig später kündigte der Arbeitgeber fristlos und hilfsweise ordentlich. Vorwurf: Der Kläger habe seinen Vorgesetzten zu Unrecht der Tätlichkeit und Beleidigung beschuldigt.
Die Entscheidung des LAG Köln
Das Gericht entschied zugunsten des Klägers in wesentlichen Punkten:
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Versetzungen unwirksam
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Herabstufung: Die Versetzung an den Schalter war eine deutliche Verschlechterung der Position. Das fällt nicht mehr unter das Direktionsrecht (§ 106 GewO), sondern erfordert eine Änderungskündigung nach § 2 KSchG.
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Auslandsversetzung: Die Weisung, nach Istanbul zu wechseln, scheiterte an der fehlenden Interessenabwägung (§ 315 BGB, billiges Ermessen). Das Gericht berücksichtigte besonders den Lebensmittelpunkt des Klägers in Deutschland, die Verbeamtung der Ehefrau und die Schulpflicht des Kindes.
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Kündigungen unwirksam
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Anwendbar war deutsches Kündigungsschutzrecht (§ 1 KSchG), obwohl der Arbeitsvertrag türkisches Recht vorsah – Grund: Günstigkeitsvergleich nach Art. 8 Rom-I-VO.
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Der Arbeitgeber konnte nicht beweisen, dass die Vorwürfe des Klägers bewusst falsch waren. Nach § 626 BGB und der Beweislastverteilung im Kündigungsschutzprozess ging dies zu seinen Lasten.
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Auflösungsantrag abgelehnt
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§ 9 KSchG erlaubt die Auflösung nur bei triftigen Gründen, die eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar machen. Die bloße Behauptung falscher Anschuldigungen, die nicht bewiesen werden konnte, reicht nicht aus.
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Rechtliche Grundlagen im Überblick
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Direktionsrecht (§ 106 GewO): Arbeitgeber dürfen Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen bestimmen – jedoch nur im Rahmen des Arbeitsvertrags und ohne wesentliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen.
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Billiges Ermessen (§ 315 BGB): Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
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Änderungskündigung (§ 2 KSchG): Notwendig, wenn eine Weisung zu einer erheblichen Änderung der Tätigkeit oder Vergütung führt.
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Kündigungsschutz (§ 1 KSchG): Kündigungen müssen sozial gerechtfertigt sein – personen-, verhaltens- oder betriebsbedingt.
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Fristlose Kündigung (§ 626 BGB): Nur bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen, Frist von zwei Wochen ab Kenntnis des Kündigungsgrunds.
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Rom-I-VO Art. 8: Rechtswahl darf nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz zwingender Bestimmungen des normalerweise anwendbaren Rechts entzogen wird.
Was bedeutet das Urteil für die Praxis?
Für Arbeitnehmer:
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Prüfen Sie jede Versetzung genau – vor allem ins Ausland oder bei Herabstufung.
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Wehren Sie sich rechtzeitig gegen unbillige Weisungen (§ 315 BGB).
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Dokumentieren Sie alle relevanten Umstände, um Ihre Position im Prozess zu stärken.
Für Arbeitgeber:
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Auslandseinsätze nur mit sorgfältiger Interessenabwägung und klarer vertraglicher Grundlage anordnen.
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Deutliche Herabstufungen nur über Änderungskündigung – sonst droht Unwirksamkeit.
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Kündigungsgründe müssen bewiesen werden; bloße Verdachtsmomente reichen nicht.
Fazit
Das Urteil des LAG Köln verdeutlicht: Versetzung Ausland Arbeitsrecht ist rechtlich komplex. Arbeitgeber dürfen nicht allein aufgrund ihrer Unternehmenspolitik drastische Standort- oder Tätigkeitswechsel anordnen. Arbeitnehmer haben in solchen Situationen starke Rechte, die sie konsequent nutzen sollten.
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