Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 17.04.2025 (Az. 6 SLa 542/24)
Rechtssicherheit bei Kündigung und Schwangerschaft: Präzisierung der Mitteilungspflicht durch Arbeitnehmerinnen
Im Zentrum des aktuellen Urteils des Landesarbeitsgerichts Köln stand die Frage, unter welchen Voraussetzungen der besondere Kündigungsschutz für Schwangere gemäß § 17 Mutterschutzgesetz (MuSchG) wirksam greift – insbesondere im Zusammenspiel mit den Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG). Das Urteil ist für Arbeitgeber wie Arbeitnehmerinnen gleichermaßen von hoher Bedeutung, da es zentrale Aspekte der rechtzeitigen Mitteilungspflicht und der Klagefristen konkretisiert.
Als Kanzlei für Arbeitsrecht in Köln möchten wir Ihnen die rechtlichen Hintergründe, die Argumentation des Gerichts und die praktischen Auswirkungen dieses Urteils strukturiert erläutern.
1. Sachverhalt – Kündigung während (angeblich) bestehender Schwangerschaft
Die Klägerin, eine tiermedizinische Fachangestellte, erhielt am 27.07.2023 eine ordentliche Kündigung. Erst mehr als vier Monate später, am 15.12.2023, reichte sie Kündigungsschutzklage ein und berief sich dabei auf den Sonderkündigungsschutz nach § 17 MuSchG. Sie behauptete, zum Zeitpunkt der Kündigung schwanger gewesen zu sein. Die Schwangerschaft habe sie zuvor – wenn auch zunächst rechnerisch – durch Atteste und Mitteilungen angezeigt.
Die beklagte Arbeitgeberin bestritt sowohl die Schwangerschaft zum Kündigungszeitpunkt als auch eine ordnungsgemäße Mitteilung derselben.
2. Juristische Würdigung – Voraussetzungen des Sonderkündigungsschutzes (§ 17 MuSchG)
Gemäß § 17 Abs. 1 MuSchG ist die Kündigung einer Frau während der Schwangerschaft unwirksam, wenn dem Arbeitgeber die Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung bekannt war oder innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Dieser Kündigungsschutz gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber nicht dem allgemeinen Kündigungsschutz unterliegt (z. B. bei Betrieben mit weniger als zehn Mitarbeitern, wie hier).
Das LAG Köln stellt dabei auf folgende Eckpunkte ab:
a. Rechnerische vs. biologische Schwangerschaft
Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) geht davon aus, dass eine Schwangerschaft rechnerisch bereits 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin beginnt (BAG, Urt. v. 24.11.2022 – 2 AZR 11/22). Diese rein rechnerische Betrachtung reicht für den Kündigungsschutz nur dann aus, wenn die Arbeitgeberin von dieser konkreten Schwangerschaft rechtzeitig Kenntnis erlangt.
Im vorliegenden Fall wies das erste ärztliche Attest einen Geburtstermin auf, der rechnerisch eine Schwangerschaft erst nach Zugang der Kündigung (30.07.2023) begründet hätte – also zu spät.
b. Mitteilungspflicht: „Diese“ Schwangerschaft muss mitgeteilt werden
Das Gericht betont ausdrücklich: Es genügt nicht, dass die Arbeitnehmerin irgendwann einmal irgendeine Schwangerschaft mitgeteilt hat – vielmehr muss die konkrete, im Kündigungszeitpunkt bestehende Schwangerschaft mitgeteilt werden. Eine frühere Schwangerschaft, die sich später z. B. als Fehlgeburt herausstellt, schafft keinen Schutz für eine neue, später begonnene Schwangerschaft, auch wenn beide Mitteilungen eng beieinander liegen.
Die Mitteilung vom 17.07.2023 bezog sich nachweislich nicht auf die Schwangerschaft, die zur Geburt im Mai 2024 führte. Auch spätere Atteste, die rechnerisch eine bestehende Schwangerschaft zum Kündigungszeitpunkt nahelegten, wurden erst Wochen bis Monate nach Zugang der Kündigung übermittelt – und somit nicht fristgerecht im Sinne von § 17 Abs. 1 MuSchG.
c. Keine Kenntnis, keine Mitteilung, kein Schutz
Das LAG Köln stellte daher fest:
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Die Arbeitgeberin hatte am 27.07.2023 keine Kenntnis von der im Nachhinein relevanten Schwangerschaft,
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eine Mitteilung erfolgte nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist nach Zugang der Kündigung,
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und eine „unverzügliche Nachholung“ der Mitteilung (§ 17 Abs. 1 Satz 2 MuSchG) wegen eines unverschuldeten Hinderungsgrundes wurde nicht glaubhaft gemacht.
3. Kündigungsschutzklage zu spät – Rechtsfolge: Kündigung gilt als wirksam (§ 7 KSchG)
Gemäß § 4 KSchG muss eine Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben werden. Verstreicht diese Frist, ohne Klageeinreichung, gilt die Kündigung kraft Gesetzes als von Anfang an wirksam (§ 7 KSchG).
Im vorliegenden Fall wurde die Klage über vier Monate verspätet erhoben. Ein Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage gemäß § 5 KSchG wurde erst in der Berufungsinstanz gestellt – und war daher ebenfalls verspätet und unzulässig.
Das LAG stellte ergänzend klar, dass auch eine Depression, wie von der Klägerin geltend gemacht, nicht ausreichend konkret und glaubhaft vorgetragen wurde, um als unverschuldeter Hinderungsgrund im Sinne des § 5 KSchG anerkannt zu werden.
4. Europarechtliche Erwägungen: Schutz beginnt erst mit biologischer Schwangerschaft
Die Klägerin argumentierte mit dem europäischen Schutzkonzept für Schwangere (Richtlinie 92/85/EWG). Doch das LAG Köln stellte klar:
Der europarechtliche Begriff der Schwangerschaft ist biologisch zu verstehen – also erst ab der tatsächlichen Befruchtung. Eine „rechnerische“ Schwangerschaft ohne biologischen Hintergrund genügt für den unionsrechtlichen Schutz nicht (vgl. EuGH, Urt. v. 26.02.2008 – C-506/06).
Da sich die Klägerin zum Kündigungszeitpunkt nach ärztlichen Erkenntnissen noch vor dem Eisprung befand, bestand kein unionsrechtlich geschützter Zustand der Schwangerschaft.
Fazit für die Praxis – Was bedeutet dieses Urteil für Sie als Arbeitgeber oder Arbeitnehmerin?
Für Arbeitnehmerinnen:
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Kündigungsschutz besteht nur bei rechtzeitiger und konkreter Mitteilung der bestehenden Schwangerschaft.
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Eine pauschale oder ältere Mitteilung genügt nicht.
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Die Klagefrist von drei Wochen ist zwingend einzuhalten – versäumt man sie, ist die Kündigung in der Regel endgültig wirksam.
Für Arbeitgeber:
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Die Mitteilung einer Schwangerschaft muss zweifelsfrei und aktuell sein, um Kündigungsschutz auszulösen.
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Eine Kündigung kann wirksam sein, wenn die Mitteilung nicht fristgerecht oder nicht bezogen auf die konkrete Schwangerschaft erfolgt.
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Bestehen Zweifel an einer Schwangerschaftsmitteilung, sollte frühzeitig anwaltlicher Rat eingeholt werden.
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Quelle: LAG Köln
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