Arbeitsgericht Herne vom 23.07.2025 (5 Ca 466/25)
Wenn Worte zum Stolperstein werden: Ein Urteil aus Herne und seine Lehren
Manchmal ist ein Arbeitsgerichtsprozess wie ein Blick in eine Momentaufnahme eines Berufsalltags, den viele nicht kennen – aber der stellvertretend für Herausforderungen steht, die überall auftreten können. So auch in diesem Fall, der vor dem Arbeitsgericht Herne landete. Es ging um einen Kraftfahrer, einen Schwertransport, ein Telefonat kurz vor der Baustelle – und eine Äußerung, die letztlich sein Arbeitsverhältnis beendete.
Der Kläger war seit 2020 als Kraftfahrer beschäftigt, oft für anspruchsvolle Transporte, teilweise auch im Winterdienst. Über die Jahre gab es verschiedene Ergänzungen zum Arbeitsvertrag, Unstimmigkeiten über Firmenwagennutzung, Prämien und Überstunden. Doch das alles wurde zweitrangig, als im März 2025 eine Szene passierte, die das Gericht später als „widerrechtliche Drohung“ einstufte.
Der Kernvorwurf: Zusätzliche Vergütung oder kein Transport?
Am 13. März 2025 hatte der Fahrer eine überbreite Ladung transportiert. Kurz vor der Baustelle telefonierte er mit dem Disponenten – und nach der Aussage des Zeugen erklärte der Fahrer, er wolle die Fahrt nur fortsetzen, wenn er eine zusätzliche Vergütung in Höhe von 200 Euro (etwa als Tankgutschein) erhalte. Die Frage, ob tatsächlich eine Genehmigung für den Transport fehlte, spielte am Ende keine entscheidende Rolle. Es ging nicht darum, ob er hätte fahren dürfen – sondern wie er versucht hatte, Einfluss zu nehmen.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Kläger die Ablieferung von einer Sonderzahlung abhängig gemacht hatte. Und genau darin lag das Problem: Die Auslieferung war seine arbeitsvertragliche Pflicht. Die Verknüpfung dieser Pflicht mit einer zusätzlichen, vertraglich nicht vorgesehenen Vergütung wertete das Gericht als Drohung, die die Beklagte unter Druck setzen sollte.
Diese Szene wirkt vielleicht unscheinbar. Ein Telefonat, zwei Menschen mit unterschiedlichen Sichtweisen, ein Moment der Anspannung. Doch im Arbeitsrecht zählt nicht nur das, was jemand meint – sondern wie es objektiv wirkt. Und für das Gericht war klar: Der Kläger stellte der Firma ein empfindliches Übel in Aussicht, nämlich den Abbruch oder die Verzögerung eines kostenintensiven Transports.
Gerade in der Logistik, wo Baustellen, Zeitfenster und Koordination eng verzahnt sind, kann ein solcher Eingriff große Folgen haben.
Warum die fristlose Kündigung Bestand hatte
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitgeber fristlos kündigen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Das Gericht prüfte also zweistufig:
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Ist das Verhalten an sich geeignet, einen wichtigen Grund darzustellen?
Ja – Drohungen, die auf wirtschaftliche Nachteile abzielen, sind eindeutige Pflichtverletzungen. -
Ist im konkreten Fall die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar?
Ebenfalls ja – aus Sicht des Gerichts war die Pflichtverletzung so schwer, dass selbst eine Abmahnung keine angemessene Reaktion mehr gewesen wäre.
Das Arbeitsgericht stellte klar:
Ein Kraftfahrer trägt eine hohe Verantwortung – für Transportgüter, für ein teures Fahrzeug, für Verkehrssicherheit. Und er ist in besonderem Maße auch vom Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber abhängig. Wer in diesem Kontext versucht, eine Pflichtleistung mit einer Sonderzahlung zu verknüpfen, gefährdet dieses Vertrauen nachhaltig.
Interessant ist, dass das Gericht ausdrücklich offenließ, ob der Transport tatsächlich genehmigungspflichtig war. Selbst wenn der Fahrer subjektiv glaubte, ohne Genehmigung nicht fahren zu dürfen, habe er das nicht mit einer eigenen Forderung verknüpfen dürfen.
Und was ist mit dem Betriebsrat? Ein Vorwurf ohne Boden
Der Kläger argumentierte im Prozess, seine Kündigung sei eine Reaktion darauf, dass er Wochen zuvor in einer WhatsApp-Gruppe das Wort „Betriebsrat“ erwähnt habe. Er habe damit die Gründung eines Betriebsrats angeregt. Das Gericht prüfte diesen Vortrag, fand aber keinerlei Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen dieser Äußerung im Dezember 2024 und der Kündigung im März 2025.
Kein Indiz, kein zeitlicher Zusammenhang, keine konkreten Aussagen. Die bloße Behauptung reichte nicht aus. So fiel auch ein möglicher Verstoß gegen das Kündigungsverbot des § 612a BGB aus.
Die vielen Nebenforderungen – und warum sie scheiterten
Der Fall war nicht nur ein Kündigungsschutzprozess. Der Kläger hatte zahlreiche Ansprüche geltend gemacht:
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Überstundenvergütung
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Nachtzuschläge
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Winterdienstprämien
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Nachzahlung wegen angeblicher Abzüge
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Abfindung
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Entschädigungszahlung
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Aufhebung eines Hausverbots
Doch fast alles scheiterte – entweder an Ausschlussfristen, an einem unzureichenden Vortrag, oder schlicht daran, dass es keinen Rechtsgrund gab.
Gerade im Arbeitsrecht zeigt sich immer wieder:
Wer Ansprüche geltend machen möchte, muss diese innerhalb vertraglicher oder tariflicher Fristen anmelden – und er muss sie konkret darlegen. Pauschale Angaben, ungeordnete Anlagen oder bloße Behauptungen reichen nicht.
Das einzige, was der Kläger erhielt, war Urlaubsabgeltung für vier Tage – eine vergleichsweise kleine Position in Höhe von 537,60 Euro. Die Beklagte musste diesen Betrag zahlen, weil sie ihn selbst in einer Abrechnung ausgewiesen hatte und das Gericht feststellte, dass der Anspruch im Rahmen einer betrieblichen Übung entstanden war.
Was bedeutet das Urteil für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?
Viele Fälle, die vor Arbeitsgerichten landen, drehen sich um die Frage:
Wann ist eine fristlose Kündigung erlaubt – und wann nicht?
Dieses Urteil zeigt besonders deutlich:
Was Arbeitnehmer daraus lernen können
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Vorsicht bei Aussagen in Stresssituationen.
Was spontan klingt, kann später zur juristischen Drohung werden. -
Pflichten und Rechte klar trennen.
Wer eine Leistung schuldet, darf sie nicht zur Verhandlungsmasse machen. -
Ansprüche sauber dokumentieren.
Ausfälle, Überstunden, Zuschläge – ohne konkrete Daten ist kein Erfolg möglich. -
Ausschlussfristen ernst nehmen.
Fast alle Nebenforderungen des Klägers scheiterten daran.
Was Arbeitgeber aus dem Urteil mitnehmen sollten
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Dokumentation zählt.
Die Aussage eines glaubwürdigen Zeugen kann entscheidend sein. -
Schnelles Handeln bei Pflichtverletzungen.
Bei schwerem Fehlverhalten muss die Kündigung zeitnah erfolgen. -
Kündigungen müssen sorgfältig begründet werden.
Das Gericht prüft streng – aber fair. -
Hausverbot bleibt möglich.
Nach Ende des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitgeber frei entscheiden, wer das Gelände betritt.
Mein Fazit: Ein Urteil mit klarer Linie – und einem Hinweis auf die Kraft der Worte
Manchmal entscheidet nicht das große Fehlverhalten, sondern ein unbedachter Satz. Der Fall aus Herne zeigt, wie schnell ein Arbeitsverhältnis kippen kann, wenn Vertrauen erschüttert ist. Gleichzeitig betont das Urteil die Bedeutung von Sorgfalt – sowohl im Verhalten als auch in der Dokumentation. Es ist ein Urteil, das zugleich mahnt und Orientierung gibt.
Tipp für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Wenn es zu Auseinandersetzungen über Gespräche, Telefonate oder mündliche Absprachen kommt, sollten Sie sofort eine schriftliche Gedächtnisnotiz anfertigen – neutral, sachlich und möglichst zeitnah. Diese Notizen können später entscheidend sein, um Aussagen nachvollziehbar und glaubwürdig darzustellen. Sie stärken Ihre Position – egal auf welcher Seite Sie stehen.

