Mietrecht: Eigenbedarf entfällt vor Ablauf der Kündigungsfrist, Vermieter klagt vergeblich auf Räumung und Herausgabe der Wohnung
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Zivilrecht
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von: Helmer Tieben

Landgericht Berlin, 29.01.2019, Az.: 67 S 9/18

Entfällt der Kündigungsgrund wegen Eigenbedarfs nachträglich, aber noch vor Ablauf der Kündigungsfrist, heisst das nicht, dass der Vermieter dann einfach so auf Räumung und Herausgabe klagen kann, wenn die Mieter trotz der Eigenbedarfskündigung ausziehen können. Denn diesem Vorhaben kann § 242 BGB Treu und Glauben entgegenstehen.

Über einen solchen Fall hatte das Landgericht Berlin in dem nachfolgenden Fall zu entscheiden:

Sachverhalt (Nach Amtsgericht Berlin-Mitte, 30.11.2017, Az.: 121 C 51/17): Im Januar des Jahres 2016 hatten alle Mieter einer in Berlin gelegenen Wohnung eine Kündigung wegen Eigenbedarfs von der Vermieterin erhalten, welche selbst nicht in Berlin lebte. In der Kündigung forderte die Vermieterin die Mieter auf, bis spätestens Ende Januar 2017 ausgezogen zu sein.

Die Vermieterin begründete den Eigenbedarf damit, dass sie wegen der Annahme eines Jobs als Stuntwoman und als Rettungssanitäterin die Wohnung in Berlin selbt benötigten würde. Mitte 2016 hatte die Vermieterin dann jedoch einen Arbeitsunfall und konnte deswegen die Jobs in Berlin nicht mehr annehmen. Auch war sie bis März 2018 dauerhaft krankgeschrieben. Außerdem hatte ihr Arzt ihr bescheinigt, dass sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden würde.

Obwohl der iegentliche Kündigungsgrund somit entfallen war, klagte die Vermieterin weiter gegen ihre Mieter auf Räumung und Herausgabe der Wohnung, nachdem diese auch nach Ablauf der Kündigungsfrist im Januar 2017 in der Wohnung geblieben waren. Das erstinstanzlich angerufene Amtsgericht Berlin-Mitte gab der Vermieterin trotzdem Recht und verurteilte die Mieter auf Räumung und Herausgabe der Wohnung. Gegen diese Entscheidung reichten die Mieter Berufung beim Landgericht Berlin ein.

Landgericht Berlin: Das Landgericht Berlin urteilte nun, dass die Berufung der Mieter Erfolg habe. Der Klägerin stünde der geltend gemachte Räumungs- und Herausgabeanspruch gegenüber den Beklagten gemäß §§ 985, 546 Abs. 1, 566 Abs. 1 BGB nicht zu. Die Klägerin könne sich nicht mit Erfolg auf die Kündigung vom 14. Januar 2016 berufen. Insoweit könne dahinstehen, ob die zwischen den Parteien streitigen Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zum Zeitpunkt des Ausspruchs vorgelegen hätten. Danach habe der Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses, wenn er die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt.

Zwar handele es sich bei der zum Gegenstand der Kündigungserklärung erhobenen Begründung um einen für eine Beendigung des Mietverhältnisses geeigneten Grund i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Die Klägerin habe ihre Kündigung damit begründet, dass sie derzeit zwar noch woanders lebe, die von den Beklagten innegehaltene Wohnung aber für sich benötige, da sie sich mittlerweile beruflich nach Berlin umorientiert habe. Sie habe dort ein Engagement als Stuntwoman angenommen und werde nach Abschluss einer entsprechenden Ausbildung Ende 2016 zudem eine Festanstellung als Rettungssanitäterin in Berlin antreten.

Selbst wenn der behauptete Eigenbedarf zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs vorgelegen haben sollte, ist es der Klägerin gemäß § 242 BGB verwehrt, sich ohne Ausspruch einer neuerlichen Kündigung auf die kündigungsbedingte Beendigung des Mietverhältnisses zu berufen. Denn der von ihr in der Kündigungserklärung vom 14. Januar 2016 geltend gemachte Kündigungsgrund sei vor Ablauf der Kündigungsfrist am 31. Januar 2017 entfallen. Zwar lasse ein nachträglicher Wegfall des Nutzungswillens die Wirksamkeit der Kündigung unberührt; es sei allerdings nach von der Kammer geteilter Rechtsprechung des BGH rechtsmissbräuchlich, wenn der Vermieter den aus der Vertragsbeendigung folgenden Räumungsanspruch gleichwohl weiterverfolge (vgl. BGH, Urt. v. 9. November 2005 – VIII ZR 339/04, NJW 2006, 220; Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Aufl. 2017, § 573 Rz. 73 m.w.N.). Ein zur Anwendung des § 242 BGB führender Wegfall des Kündigungsgrundes sei auch dann gegeben, wenn ein zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs hinreichend verdichteter Nutzungswunsch des Vermieters bei Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr von der konkreten Absicht zur alsbaldigen Umsetzung getragen werde.

Gemessen daran seien die Voraussetzungen des § 242 BGB erfüllt. Der geltend gemachte Kündigungsgrund sei – zumindest für unabsehbare Zeit – im Juni 2016 entfallen, nachdem die Klägerin bei einem Arbeitsunfall schwer verletzt worden und in der Folge nicht nur seit dem 8. Juni 2016 bis einschließlich zum 31. März 2018 dauerhaft krankgeschrieben gewesen sei, sondern auch ihren Beruf als Stuntwoman aufgeben habe müssen. Sie sei zudem gehindert, wie beabsichtigt ihre Ausbildung als Rettungssanitäterin bis Ende 2016 abzuschließen und im Anschluss daran eine Festanstellung in Berlin anzutreten. Stattdessen sei die Klägerin zunächst krankheitsbedingt zu ihrer Mutter nach Y verzogen und habe erst am 01.04.2018 – mehr als zwei Jahre nach Ausspruch der Kündigung und 14 Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist – ihre Ausbildung als Rettungssanitäterin fortgesetzt. Noch im März 2018 sei der Klägerin ärztlich bescheinigt worden, dass sie nach ihrem Arbeitsunfall im Jahre 2016 an einer posttraumatischem Belastungsstörung leide und ihre Zukunft „unklar“ sei.

Damit aber habe der von der Klägerin geltend Eigenbedarf, auch wenn er zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs tatsächlich bestanden haben sollte, bei Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr auf einem hinreichend verdichteten Nutzungswunsch beruht. Ein solcher sei – in Abgrenzung zu einer gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB unzureichenden Kündigung auf Vorrat – nur zu bejahen, wenn ein konkretes Interesse des Vermieters an der alsbaldigen Eigennutzung der Mietsache vorliege und dieses in einem absehbaren und zeitlich engen Zusammenhang mit der kündigungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses stünde (vgl. BGH, Urt. v. 27. September 2017 – VIII ZR 243/16, NZM 2017, 756; Kammer, Urt. v. 20. September 2018 – 67 S 16/18, ZMR 2019, 21). Daran jedoch fehlte es, nachdem die weitere private und berufliche Zukunft der Klägerin aufgrund ihres Unfalls und der damit im Zusammenhang stehenden physischen und psychischen Folgebeeinträchtigungen seit Juni 2016 bis weit über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus auf unabsehbare Zeit ungewiss geworden sei.

Vor diesem Hintergrund konnte dahinstehen, ob die Beklagten im Falle der kündigungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses wegen ihres vorgerückten Alters, der von ihnen dargetanen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, des bereits seit 1987 andauernden Mietverhältnisses und der damit verbundenen Verwurzelung am Ort der Mietsache sowie der von ihnen behaupteten Unmöglichkeit, Ersatzwohnraum zu angemessenen Bedingungen zu beschaffen (vgl. dazu Kammer, Urt. v. 25. Januar 2018 – 67 S 272/17, NJW-RR 2018, 1034), von der Klägerin gemäß §§ 574 Abs. 1, Abs. 2, 574a Abs. 1, Abs. 2 BGB die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit aus Härtegründen hätten verlangen können.

Quelle: Landgericht Berlin

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